Geräusche in meinem Kopf.
27.9.13

Die Schienen quietschen und ein kratzendes Geräusch setzte ein. Das Papier der Jahrgangsstufentests, das ich in Händen hielt, raschelte, als ich es in die Tasche steckte. Ich stieg aus und stand an einem fremden Bahnhof. Menschen redeten, redeten laut, redeten leise, redeten über Andere, redeten über sich. Ich stieg Treppenstufen herab und bog rechts ab. Rechts einfach, weil ich mich auf unbekannten Wegen aus Prinzip dafür entscheide. Stimmgewirr prallte an meinen Kopfhörern ab, aus denen Adele etwas von Gerüchten in mein Ohr sang. Sie wusste schon wovon sie redete. Gerüchte verbreiteten sich schnell. Doch noch viel schneller im Verbreiten waren Puzzleteile einer Warheit. So ziemlich alle hatten über uns bescheidgewusst. Woher genau, war mit unklar, doch es hatte seine Vorteile:
Ich war schon immer ein Skandal gewesen. Ein Skandal, weil meine Prinzipien darin liegen, dass ich anderen hobbylosen Mitmenschen etwas gebe, worüber sie reden können. Und das tun sie dann lange und laut. Ohne zu wissen was die Worte auslösen, welch einen Schmerz, einen untragbaren. Nur wenn man versteht, gerne ein Skandal zu sein, nur dann zerbricht man nicht an ihren anklagenden Worten, denen sie selbst keine Bedeutung schenken. Mein Leben schien sich auf dem Weg zur Besserung zu befinden, die Zweifel an das Gute im Menschen hatten sich mit ihm gelegt, die Zweifel, dass es jemanden gab, der meinen Ansprüchen nicht nur gerecht wurde [Anm. des Lektors: AAAAAAH! Vermessen! Deinen Ansprüchen gerecht, des hört sich an! Ich hasse diese Phrase xP], sondern mich auch noch liebte, waren abgefallen von mir wie Herbstlaub. Ich schrieb ihm eine SMS. Zu spät. Ich hätte sie schon 2 Stationen vorher schreiben müssen. So blieb mir noch etwas Zeit meine Umwelt zu begutachten: Der Bahnhof war ein schneller Ort, ein Ort ohne Zeit. Beine rannten kreuz und quer, ohne Rücksicht auf langsamere zu nehmen, ein Rollstuhlfahrer rollte zügig an mir vorbei, doch sah wenig glücklich aus, wie sollte er auch, es gab in dieser geschäftigen Welt keine Zeit für Glück. Ein Kind schrie seine Mutter an, es wolle etwas anderes zum Essen, ein Bettler bettelte um etwas Geld. Zwei Jungs standen auf einer Treppe über mir und redeten schnell. Sie lachten. Lachten sie über mich? Nein, sie kannten mich nicht. Lachten sie über jemanden wie mich? Ja sie lachten über jemanden, der sich den Regeln und Formen des Alltag wiedersetzte. Ich sah sie an und belächelte sie, ihre Unwissenheit über das was sich hinter ihrem Horizont befand belustigte mich, zugleich machte es mich nachdenklich, was wohl der Grund für ihr unbedeutendes Handeln war. Die schnelle Umwelt war es gewesen, kein Zweifel, sie ließ keine Zeit um nachzudenken. So unschuldig flossen die Menschenmassen an mir vorbei. Nur wenige gingen langsam, sahen mich an und spürten, dass das Leben herabfiel, in eine tiefe Schlucht aus Eifer und Gier, Machtbesitz und Mordlust. Er hielt meine Welt an, die sich zu schnell drehte, als er meine Kopfhörer abnahm. Der Kuss war zart und schlug eine Klaviertaste in meinem Kopf an. Unsere Hände umschlossen sich. Ich stieg einem Mann auf den Schuh, entschuldigte mich, er hastete eilig weiter und verschwamm mit der Menschenmenge. Die Tür klirrte als ein Ring den Griff berührte, das Gebäude war groß und hell, Schritte hallten und verklangen in einem Atemzug; kleine, große, dicke und dünne Teller und Gläser klirrten beim Abstellen auf verschiedensten Ablageflächen. Ich hörte ihn, meinen Herzschlag. Das Klavier spielte weiter, ohne zu wissen welches Stück. Wir flossen mit Anderen in ein Geschäft und suchten ein braunes Lederarmband. Ein ganz bestimmtes. Er hatte es immer getragen, jetzt war es kaputt und er hatte eine genaue Vorstellung von Farbe und Form. Ich weiß genau wie es in seinem Kopf aussah. Schlicht, aber dennoch nicht langweilig, getaucht ein eine Farbe, die zarter, tiefer Ton gewesen wäre, wenn man sie spielen würde. Es war nicht unter ihnen, das Perfekte. Kein Wunder, das Perfekte fand man nie unter ihnen, die sich seines Gleichen nannten, obwohl sie sich nicht ähnlich waren. Der Antrieb der Rolltreppe machte ein Surren, das man in Kaufhäusern vermissen würde, wenn es fehle. Wir traten heraus, und schlenderten zügig an einem Runing-Sushi vorbei. Lachsstreifen ruhten auf gekochtem Reis und drehten ihre Runden neben dem Wasabi. An den runden Kurven eckten die Tellerchen an und gaben ein schmerzendes Klackern von sich. Er lud mich auf ein Eis ein. Karamell in der Waffel. Geschmolzener Zucker in der Waffel. Welch ein Wiederspruch. Die Dame im Dirndl mit viel Holz vor der Hütt'n [Anm. des Lektors: Boh Jeah!] stellte die Waffel in die, dafür vorgesehene metallene Halterung, wobei unter einem Kratzen einige Krümel herabfielen. Er legte das Geld in das Plastikschälchen. Die Schritte durch die aufgerissenen Straßen vorbei an einem Wasserspiel waren zählbar wenige bis zur Bushaltestelle, an der wir etwas auf den Bus warten mussten. Zeit zu warten ist ein Luxus, den nicht mal der genießt, der weiß, dass es wertvolle Zeit zum Nachdenken ist. Meine Gedanken sponnen ein Netz aus Fragen ohne Antworten, sie sponnen es um ihn herum wie einen Kokon. Der Bus raste an uns vorbei. Wir rannten, ich hatte mein Eis noch immer in der Hand, als sich die Tür öffnete und wir uns nebeneinander setzten. Unsere Schultern berührten sich und die Blitze eines Sommergewitters schlugen in meinem Herz ein und schlugen eine weitere Strophe an. Es stiegen einige Jugendliche ein, sie starrten uns an. Sie suchten einen Skandal, fanden aber nur Liebe, womöglich sahen sie einfach nicht genau genug hin. Sie besetzten vorhersehbar die letzte Reihe. Die Hipster saßen immer in der letzten Reihe, dort konnten sie besser tuscheln und ihre kleinen Gehirne arbeiten lassen. Ein Mann mit einer runden Brille und einem Vollbart war eingestiegen. Seine hellbraunen Augen musterten meine, seine Hand rutschte etwas von der Haltestange herab, ein feuchtes „h´“ [Anm. des Lektors: Was soll ein feuchtes h' sein?] quietschte mir entgegen und ließ mich den Blick abwenden. Er war genauso. Einer der wenigen, der aus der Reihe fiel, ohne Grund, einfach nur um zu zeigen, dass es anders ging. Eine Narbe an dem Handgelenk meines Freundes stach mir ins Auge als er meine Hand nahm, ich traute mich nicht zu fragen, denn ein knirschen der Bustüren nahm mir die Möglichkeit einen Satz zu formulieren, bevor wir ausstiegen. Der Bus fuhr an uns vorbei. Und sie taten es, sie drückten sich ihre unwissenden Näschen an der Fensterscheibe Platt, den Skandal erkennend. Zwei andere hatten sich gefunden. Die Blicke wollten sich an uns heften, doch mit einem Winken schüttelte ich sie ab. Sie waren verdutzt und drehten sich schnell um, in dem Glauben man könnte sie hinter einer Glasscheibe nicht sehen. Sie würden ihn darauf ansprechen. Ich wusste nicht, was er sagen würde, die Frage war, ob ich es wissen wollte, wollte ich in Kauf nehmen beschrieben zu werden?
Ja und Nein. Keiner würde es verstehen, sie würden uns abdrucken in der Zeitung ihrer kleinen Köpfe, würden uns auf das Titelblatt schreiben. Aber das war nichts anderes als die Gewohnheit, und die Freude daran andern Menschen etwas zu geben worüber sie sich sinnloserweise stundenlang unterhalten konnten. Die Vorstellung ihrer Worte, war unerwartet nicht mit Schmerz verbunden, sondern mit einem sanften Ton in meinen Ohren.

Ich stand vor einem schiefen Turm von Pisa. Er klebte an dem Mülltonnenhäuschen neben dem verschlossenen Tor. Wir hatten vorher noch schnell Flaschen in den Müll geworfen. Grüne Flaschen. Seine Mutter stand am Tor. Sie lächelte freundlich, ich fühlte mich wohl. Ich trat durch die Haustür nachdem ich mich vorgestellt hatte und bemerkte eine Meersucht. Ich habe auch eine Meersucht. Das Meer bedeutet Grenzenlose Freiheit, ganz in Blautönen, manchmal wurde es von einem roten Sonnenuntergang geschmückt. Wenn die Wellen an Felsen zerbrachen, bersteten Töne ebenso wie das Wasser selbst. Ich zog meine Schuhe aus und stieg dabei auf meine eigenen Haare. Seiner Mutter gefielen meine Haare sehr und sie erzählte von ihrer kleineren Tochter, die ihre schönen langen Haare wegen den Worten anderer aufgeben wollte. Mein Nussknacker und ich gingen die Treppe hoch, eine Stufe knackste einen Ton für das Stück, das in meinem Kopf entstand. Im Dachboden angekommen fand ich einen Raum vor, welcher ausgekleidet war mit Holz. Eine Couch stand an einer Dachschräge, ordentlich aufgereihte, beige Kissen reihten sich wie Perlen an einer Schnur auf. Ein Tisch, wie ich ihn früher einmal bei Animal Crossing gehabt hatte stand davor, ein Laptop lag darauf. Papier türmte sich, ein Messer lag dort und eine Kamera. Es erinnerte mich an zuhause. Das Chaos der Kreativlinge fand sich immer auf ihren Schreibtischen wieder. Irgendeine Kuh rannte jetzt ohne Fell rum auf dem Weg in eine Steaksemmel, denn ihre Haut bedekte den hölzernen Hippieboden. Wenn sie noch "Muh" hätte sagen können, hätte eine gewisse Idee in meinem Kopf Platz gefunden [Anm. des Lektors: 20cm! :D]. Zwei Gitarren standen unter dem Fenster, ein großer Bass und ein E-Bass. Ein Notenständer stand vor einem Stuhl. Auf einem Korbsessel lag ein Kuhgemustertes Kissen. Ich legte meine Jacke und meine Tasche darauf ab. Am Fensterbrett saßen einige Kakteen ein Bambusstiel und eine Mausefamilie. Eine trug einen Hut. Man konnte die Gewächshäuser der Gärtnerei nebenan sehen. Meine Welt geht unter. Zum ersten Mal nicht in Verzweiflung, sondern in einem süßen Honigtopf aus Liebe.

Ist es nicht der Zauber, dass wir nicht verstehen, was wir tun, dass sich Falsches so richtig anfühlt, dass wir den Kopf verlieren und auch nicht wirklich Interesse daran zeigen, ihn wieder zu finden ?
So wusste ich auch nicht wo mir der Kopf stand, als wir die Treppen heruntergehen und er sich ohne ein Wort an das Klavier setzt. Ich nehme neben ihm Platz und lasse die Stimmen in meinem Kopf verstummen, ich nehme nur die Töne wahr, die seine Finger aus den Klaviertasten zaubern. heh‘heh‘heh‘heh‘ he ce hdh‘hdh‘hdh‘hdh‘ hd ad fis h fis fis h fis fis h fis fis h fis fis h gh ada‘ada‘ada‘ada‘ ad gd… Das Stück aus meinem Kopf, schwirrt im Raum und lässt mich in einer fabelhaften Welt schweben. „Die fabelhafte Welt der Amelie“

Seit ich ihn kenne, hat sich einiges geändert. Ich bin häufig glücklich. Lebensfroh war ich früher auch schon, aber irgendwie wollte alles nicht so recht klappen. Irgendwas stand mir immer im weg, oder versuchte es zumindestens. Und immer wenn ich daran denke, dass es mir nicht immer so gut ging und ich jetzt so ein riesen Glück habe, dann kommen mir Tränen, Tränen die ich nicht weine, sie würden nicht von Allen verstanden werden.



Eure Melli